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Sayyid Ahmad Khan Sayyid Ahmad Khan mit den Ordenszeichen des Order of the Star of India Sir Sayyid Ahmad Khan Bahadur (Urdu سید احمد خان :بہا در; *17. Oktober 1817 in Delhi;† 27. März 1898 in Aligarh) war ein islamischer Denker und schrieb eine Ab- handlung, in der er den Briten zu zeigen versuchte, dass der Islam eine Kooperation mit der Kolonialverwaltung keineswegs verbiete. Seine Vorfahren stammten ursprünglich aus der persi- schen Stadt Herat, im mittelalterlichen Chorasan, bevor sie nach Indien auswanderten [1] . Khan war lange Zeit an einem islamischen Gerichtshof tätig und schrieb Abhand- lungen über die islamische Geschichte und die islamische Religion. [2] 1 Denken und Wirken Khan hat in seinem Leben drei Stationen des Denkens durchlaufen, die sich folgendermaßen einordnen lassen: 1. Religiöses Denken (1842–57), 2. Zeit der Übersetzung (1857–69), 3. Interpretation der Religion (1870–98). [3] Anhand bestimmter Koranverse, die er neu interpretierte, versuchte er zu belegen, dass der Dschihad für Muslime nur dann verpflichtend sei, wenn es eine „aktive Unter- Sayyid Ahmad Khan drückung oder Behinderung der Religionsausübung“ ge- be. Für Khan stellt sich der Dschihad somit als ein Kampf für die Religionsfreiheit dar, da die Briten aber weder das rituelle Gebet, noch das Ramadan-Fasten und die Pilgerfahrt nach Mekka behinderten, sei ein Dschihad ge- gen sie unzulässig. Khan interpretiert die kriegerischen Auseinandersetzung des Propheten und seiner Nachfol- ger nach der Vertreibung also nicht primär als ein Kampf gegen eine andere Religion, sondern für eine freie Reli- gionsausübung. [4] Die theologischen Grundlinien Khans sind von der Lehre Shah Waliullahs geprägt und führt da- mit die Gedanken einer innerislamischen Erneuerungsbe- wegung fort, die noch nicht in Wechselwirkung mit dem Westen entstand. So betont auch Khan die Konzentrati- on auf Koran und Sunna im Rahmen des ijtihads bei der Lösung von Rechtsproblemen. [5] Sayyid Ahmad Khan beschäftigte sich auch mit der Her- ausforderung, die die neu entstehende Disziplin der Na- turwissenschaften an Gesellschaft und Religion stellte. 1

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Sayyid Ahmad Khan

Sayyid Ahmad Khanmit den Ordenszeichen des Order of the Starof India

Sir Sayyid Ahmad Khan Bahadur (Urdu: خان احمد سید* در; .17بہا Oktober 1817 in Delhi; † 27. März 1898 inAligarh) war ein islamischer Denker und schrieb eine Ab-handlung, in der er den Briten zu zeigen versuchte, dassder Islam eine Kooperation mit der Kolonialverwaltungkeineswegs verbiete.Seine Vorfahren stammten ursprünglich aus der persi-schen Stadt Herat, im mittelalterlichen Chorasan, bevorsie nach Indien auswanderten[1]. Khan war lange Zeit aneinem islamischen Gerichtshof tätig und schrieb Abhand-lungen über die islamische Geschichte und die islamischeReligion.[2]

1 Denken und Wirken

Khan hat in seinem Leben drei Stationen des Denkensdurchlaufen, die sich folgendermaßen einordnen lassen:1. Religiöses Denken (1842–57), 2. Zeit der Übersetzung(1857–69), 3. Interpretation der Religion (1870–98).[3]

Anhand bestimmter Koranverse, die er neu interpretierte,versuchte er zu belegen, dass der Dschihad für Muslimenur dann verpflichtend sei, wenn es eine „aktive Unter-

Sayyid Ahmad Khan

drückung oder Behinderung der Religionsausübung“ ge-be. Für Khan stellt sich der Dschihad somit als ein Kampffür die Religionsfreiheit dar, da die Briten aber wederdas rituelle Gebet, noch das Ramadan-Fasten und diePilgerfahrt nachMekka behinderten, sei ein Dschihad ge-gen sie unzulässig. Khan interpretiert die kriegerischenAuseinandersetzung des Propheten und seiner Nachfol-ger nach der Vertreibung also nicht primär als ein Kampfgegen eine andere Religion, sondern für eine freie Reli-gionsausübung. [4] Die theologischen Grundlinien Khanssind von der Lehre ShahWaliullahs geprägt und führt da-mit die Gedanken einer innerislamischen Erneuerungsbe-wegung fort, die noch nicht in Wechselwirkung mit demWesten entstand. So betont auch Khan die Konzentrati-on auf Koran und Sunna im Rahmen des ijtihads bei derLösung von Rechtsproblemen. [5]

Sayyid Ahmad Khan beschäftigte sich auch mit der Her-ausforderung, die die neu entstehende Disziplin der Na-turwissenschaften an Gesellschaft und Religion stellte.

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2 3 LITERATUR

In einer Rede[6] legt er dar, wie der wahre Islam seinerMeinung nach sein sollte. Zum einen grenzt er den Is-lam scharf von der griechischen Philosophie (besondersAristoteles) ab, deren Denkweisen tief in der islamischenKultur verwurzelt sind, womit er indirekt den rationa-listisch geprägten Islam, der an den Madrasas, den isla-mischen Hochschulen gelehrt wird, kritisiert. Die grie-chische Philosophie ist für ihn ein unzureichendes Mit-tel, um den Anforderungen zu genügen, die die moder-ne Naturwissenschaft an die Religion stellt. Diese mo-derne Naturwissenschaft ist durch die Empirie ausge-zeichnet und gerade nicht durch ein sich auf eine Meta-physik berufendes Gedankengerüst. Sayyid Ahmad Khansieht in dieser naturwissenschaftlichen Empirie und Er-fahrungsorientierung den Anknüpfungspunkt an den Is-lam und die grundständige Vereinbarkeit mit ihm. DerIslam muss seiner Meinung nach zurück zu seinen Wur-zeln, um flexibel genug zu sein den Anfragen der neuenZeit zu genügen. Sayyid Ahmad Khan lässt sich damitin die breite Strömung des Reformislam, wie es ihn zurgleichen Zeit zum Beispiel auch in Ägypten gab, einord-nen. So versuchte er zum Beispiel den Koran von seinemmystischen Beiwerk zu befreien und betonte naturwis-senschaftliche Elemente innerhalb der Theologie. Die-ser Versuch der Vereinbarung von Theologie und Natur-wissenschaft brachte ihm allerdings viel Kritik ein, da erselbst nicht die Madrasen-Ausbildung absolviert hatte, essich aber dennoch zur Aufgabe gesetzt hatte, theologischeAussagen zu hinterfragen. [7] Diese Vorwürfe kamen vorallem von Seiten der orthodoxen muslimischen Bewegun-gen der Ahl-i Hadīth und der Deoband-Schule, von denener teilweise als „Naturalist“ kritisiert wurde. [8] Außer-dem wurde er stark für seinen Bibelkommtar kritisiert,in dem er dem Vorwurf einer Fälschung der Erzählungenwiderspricht. In diesem Zusammenhang sah er sich demVorwurf einer zu starken Assimilierung an den kolonia-len Westen ausgesetzt.Ab etwa 1862 beschäftigte sich Ahmad Khan mit der Bi-bel, der er grundsätzliche Authentizität der Schriften undteilweisen Offenbarungscharakter zurechnete. Er teiltenicht die von Muslimen schon zur selben Zeit geäußer-ten Vorwürfe, das Christentum sei aufgrund seiner Lehrevon der Trinität eine polytheistische Religion. 1869/70lebte Ahmad Khan etwa anderthalb Jahre lang in Eng-land. Nach der Rückkehr versuchte er die Muslime in In-dien nicht nur davon zu überzeugen, der britischen Herr-schaft gegenüber loyal zu sein, sondern auch etwas vonder westlichen Kultur aufzunehmen. Zudem beschloss erein „muslimisches Cambridge“ zu bauen. Die Absicht,die er verfolgte war, die Muslime wieder an das Eliten-und Staatssystem anschlussfähig zu machen. Im briti-schen Kolonialismus hat sich das System dahingehendverändert, dass nun vor allem brahmanische Hindus inVerwaltungspositionen eingesetzt wurden, die sich bereit-williger in das koloniale Verwaltungssystem integrierenließen. Damit bildeten sie eine neue elitäre Schicht ge-genüber den Muslimen. Diese Entwicklung empfandendie Muslime als Demütigung, weshalb sie sich vom Sys-

tem abgewendet haben. Mit der Abwendung verpasstensie den Anschluss, was unter anderem auch die (sprach-liche) Bildung betraf. Um die Anschlussfähigkeit wie-derherzustellen gründete Khan das Anglo-MuhammadanOriental College, die spätere Aligarh Muslim Universi-ty. Hier konnten junge Muslime die neue Amtssprache,Englisch, lernen, damit sie den kolonialen Ansprüchengerecht werden konnten. Der neu gestaltete Lernkanonzielte dabei auch darauf ab, die Schüler in Kontakt mitHumanismus, Naturwissenschaften und Politiktheorie zubringen. [9] In der Konsequenz sollten erneut muslimischeEliten etabliert werden. Jedem dieser Colleges sollte ei-ne Moschee angeschlossen sein, so wie Kirchen an dieColleges in Oxford und Cambridge angeschlossen sind.1873 wurden erste Planungen des College veröffentlicht.[10] 1875 wurde im indischen Aligarh die Aligarh MuslimUniversity gegründet. Khans bildungspolitisches Engage-ment und sein weitreichende Einfluss fand auch in derArbeit der 1886 gegründeten Muhammadan EducationalConference Ausdruck. Diese hatte die Verbreitung einesmodernen und höheren Bildungsstands unter den Mos-lems zumZiel, wobei die Übersetzungsarbeiten vomEng-lischen ins Urdu eine wesentliche Rolle spielten.[11] Denweiteren politischen Entwicklungen stand Khan stark ab-lehnend gegenüber. Als 1885 der Indische Nationalkon-gress gegründet worden war, empfahl er sogar seinenGlaubensbrüdern dem Kongress fernzubleiben. Khan be-fürchtete, dass die schon seit dem Aufstand 1857 beste-hende Machtverschiebung zu Gunsten der Hindus die nurals Minderheit vertretenen Moslems weiter an den Randdrängen würden.[12]

2 Islam als “wahre Religion”

Das zentrale Argument für den Islam als “wahre Religi-on” postuliert Khan in seiner Aussage “Islam is natureand nature is Islam.”[13] Der Einklang mit der empiri-schen Natur bildet für ihn das Fundament von Religionüberhaupt. So wird auch die Natur des Menschen als einevernünftige Art angesehen und auf eine vernünftige Wei-se (beides im Sinne der Empirie) betrachtet. Die Offen-barung Gottes liegt in seinem Werk (Natur) und seinemWort (Koran). Diese beiden können nicht kategorial un-terschieden werden. Alles Sein (z.B. Natur, Mensch) istGottes Werk, die Religion ist Gottes Wort.[14]

3 Literatur• Ralf Lange: Ahmad Khan, Sir Sayyid. In:Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon(BBKL). Band 17, Bautz, Herzberg 2000, ISBN3-88309-080-8, Sp. 20–34.

• Christian Troll: The contribution of Sayyid AhmadKhan to a new nineteenth century „Ilm al-kalam“,Diss., London, 1975

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• Belkacem Belmekki: Sir Sayyid Ahmad Khan andtheMuslim Cause in British India, Berlin 2010: KlausSchwarz Verlag, ISBN 978-3-87997-377-4

• Francis Robinson: Ahmad Khan, Sir Saiyid [SyedAhmed Khan] (1817–1898). In: H. C. G. Matthew,Brian Harrison (Hrsg.): Oxford Dictionary of Na-tional Biography, from the earliest times to the ye-ar 2000 (ODNB). Oxford University Press, Oxford2004, ISBN 0-19-861411-X, online (Lizenz erforder-lich), Stand: 2004 (englisch)

• Sir Sayyid Ahmad Khan. In: Encyclopædia Britanni-ca. 11. Auflage. Bd 24. London 1910–1911, S. 278.

4 Weblinks

Commons: Syed Ahmed Khan – Sammlung vonBildern, Videos und Audiodateien

• Artikel zu Sir Sayyid Ahmad Khan von Maria-Sophia Moritz bei suedasien.info

5 Einzelnachweise[1] George Farquhar Graham: The Life andWork of Syed Ah-

med Khan, C. at S. L. Blackwood, 1885, S. 1.

[2] Tworuschka, Monika: Islam im 19. Jahrhundert, in:North, Albrecht/Paul, Jürgen (Hgg.): Der islamische Ori-ent – Grundzüge seiner Geschichte, Würzburg 1998, S.422.

[3] Baljon, J.M.S. Jr.: The Reforms and Religious Ideas of SirSayyid Ahman Khan, Leiden 1949, S. 45.

[4] Rudolph Peters: Jihad in Classical and Modern Islam,Princeton 1995, S. 123f.

[5] Ahmad, Aziz: Islamic Modernism in India and Pakistan1857-1964, London 1967, S. 40f.

[6] Ahmad Khan: Lecture on Islam (1884). In: Troll, Christi-an W.: Sayyid Ahmad Khan. A Reinterpretation of Mus-lim Theology. New Dheli: Vikas Publ. House, 1978, 307-332.

[7] Schimmel, Annemarie: Der Islam im indischen Subkon-tinent. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft1983 S. 111f.

[8] Schimmel, Annemarie: Der Islam im indischen Subkon-tinent. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,1983, S. 107.

[9] Ahmad, Aziz: Islamic Modernism in India and Pakistan1857-1964, London 1967, S. 37.

[10] Sharma, S.R.: Life and Works of Sir Syed Ahmed Khan.Jaipur, India: Book Enclave 2011, 6f.

[11] Ahmad, Aziz: Islamic Modernism in India and Pakistan1857-1964, London 1967, S. 37.

[12] Schimmel, Annemarie: Der Islam im indischen Subkon-tinent. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,1983, S. 177.

[13] Ahmad Khan: Lecture on Islam (1884). In: Troll, Christi-an W.: Sayyid Ahmad Khan. A Reinterpretation of Mus-lim Theology. New Dheli: Vikas Publ. House, 1978, 317.

[14] Ahmad Khan: Lecture on Islam (1884). In: Troll, Christi-an W.: Sayyid Ahmad Khan. A Reinterpretation of Mus-lim Theology. New Dheli: Vikas Publ. House, 1978, 317-318.

Normdaten (Person): GND: 119306891 | LCCN:n83184778 | VIAF: 56627751 |

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4 6 TEXT- UND BILDQUELLEN, AUTOREN UND LIZENZEN

6 Text- und Bildquellen, Autoren und Lizenzen

6.1 Text• Sayyid Ahmad Khan Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Sayyid_Ahmad_Khan?oldid=153320417 Autoren: Aka, Dnaber, Martin-vogel, Rybak, Ahmadi, AndreasPraefcke, Mandavi, Crosji, RedBot, DALIBRI, KureCewlik81, Ephraim33, JFKCom, RobotQuistnix,Tresckow, Xquenda, Ovrandow, Friedrichheinz, FordPrefect42, Wissling, Invisigoth67, Thijs!bot, Zeitlupe, Roland zh, Bot-Schafter, AN-KAWÜ, VolkovBot, Kyle the bot, TXiKiBoT, Synthebot, AlleborgoBot, DragonBot, Bundeswehr, Gödeke, LinkFA-Bot, CarsracBot, Mu-ro Bot, Jotterbot, Krd, Obersachsebot, Xqbot, Pflastertreter, RibotBOT, A.Abdel-Rahim, HRoestBot, TobeBot, JamesP, TjBot, Max-78,EmausBot, Kay Guder, ChuispastonBot, Krdbot, MerlIwBot, GetulioV, KLBot2, Lektorat Cogito, IluvatarBot, Makecat-bot, Gitarre87,Booky4588, Joy-xena, Sikhsant14, Jagger24, Sw442, Luke081515Bot, Khatschaturjan und Anonyme: 7

6.2 Bilder• Datei:Commons-logo.svg Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4a/Commons-logo.svg Lizenz: Public domain Au-toren: This version created by Pumbaa, using a proper partial circle and SVG geometry features. (Former versions used to be slightly warped.)Ursprünglicher Schöpfer: SVG version was created by User:Grunt and cleaned up by 3247, based on the earlier PNG version, created byReidab.

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• Datei:Sayyid_Ahmad_Khan.jpg Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/a/a5/Sayyid_Ahmad_Khan.jpg Lizenz: PD-alt-100Autoren:nicht angegebenUrsprünglicher Schöpfer:unbekannt

6.3 Inhaltslizenz• Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0